Sizilien im Fachwerk-Kleid
Ich glaube, so mancher meiner Leser runzelt die Stirn, wenn ich gelegentlich die verschiedenen Regionen des Ruhrgebiets mit legendären europäischen Landschaften vergleiche. So nenne ich gern den niederrheinischen Kreis Wesel im Nordwesten des Reviers die „Bretagne“ bzw. „Normandie des Ruhrgebiets“, weil es dort fantastischen Cidre gibt, oder die Stadt Hagen im Südosten den „Balkan des Ruhrgebiets“, weil sich dort die Schnaps- und Whiskybrennereien in den tiefsten Schluchten der nördlichen Ausläufer des wilden Sauerlandes verstecken. Jetzt kann ich mit Fug einen neuen Stirnrunzler formulieren. Hattingen, das idyllische Fachwerkstädtchen am sonnigen Südufer der Ruhr, ist das „Sizilien des Ruhrgebiets“.
Lichtdurchflutete Atmosphäre
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Trinacria, das Symbol SiziliensSizilianische Keramiken
Dabei weist der Name des neuen „Cafés Bistros Mara“ in den verwinkelten Gassen gar nicht direkt auf die süditalienische Insel hin. An der Fassade des prächtigen Fachwerkhauses in der Sankt-Georg-Straße prangt sogar noch in großen Lettern der traditionsreiche Schriftzug „Löwen-Apotheke“; bis vor kurzem gab es hier noch eine Tapas-Bar. Betritt man das lichtdurchflutete Ecklokal, umfängt einen die Eleganz einer südlichen Gastronomie. Vielleicht wäre die Bezeichnung „Trattoria Bar“ treffender, denn die Deko mit der Trinacria, dem dreibeinigem Gorgonenkopf, Tellern mit Zitronendarstellungen, und den Kopfskulpturen Teste di Moro in einer chic ausgeleuchteten Wandnische verbreiten sofort sizilianischen Zauber.
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Michelangelo und Catena PintaudiVor allem sind es die Dolce, die Süßigkeiten und Torten in einer Vitrine, die einem ins Auge fallen: Babà con Crema (luftiger Hefeteig, getränkt in Zuckerwasser und Rum mit Patisseriecreme), Tortino Ricotta e Crema (Törtchen mit Birnen-Ricotta, Haselnüssen und Keksstückchen). Pasticciotto di Crema (Mürbteig gefüllt mit Zitronencreme) und natürlich die legendären sizilianische Cannoli (Keksrollen gefüllt mit Ricottacreme) und anderes sind die hausgemachten Spezialitäten von Catena Pintaudi, die mit ihrem Mann Michelangelo seit Ende April 2022 das „Café Bistro Mara“ betreibt. Zuvor waren sie in Dortmund beheimatet, wo sie die „Oespeler Deele“ führten, doch haben sie dieses Restaurant im letzten Jahr nicht zuletzt wegen Corona verkauft und jetzt in Hattingen einen Neustart gewagt.
Hausgemachte Dolci
Dabei gehen sie den mutigen Weg, nicht auf die Pizza-und-Pasta-Konventionen des gängigen taste of Italy zu setzen, sondern wollen ihren Gästen die Küche ihrer ursprünglichen Heimat Sizilien nahebringen. Die ist aufgrund der ihrer Lage an der Schnittstelle vom europäischen zum arabisch-nordafrikanischen Kulturkreis sogar unter den Regionalküchen Italiens einzigartig ist. Mara ist der Name von Michelangelos Großmutter (und der Tochter), von der eine Menge der Rezepte stammen, die in der Küche realisiert werden. Während Catena dort die Chefin ist, macht Michelangelo den Service bei den Gästen. Seine große Erfahrung in der Gastronomie – Michelangelo arbeitete u.a. für Marco Mansutti in Bochum – und vor allem als Fremdenführer, der deutschen Touristen die Schönheit Siziliens näher brachte, machen ihn zu einem faszinierenden Storyteller. So plaudert er gerne über Pistazien aus Bronte, Mandeln aus Avola, Kapern von den Liparischen Inseln, die Schwierigkeiten, die tollen sizilianischen Orangen verkaufen zu können oder das Couscous-Festival in San Vito lo Capo. Und auch die Filmszene aus dem Mafia-Epos „Der Pate III“, in der die Schwester des Paten einen Widersacher mit einem Cannolo vergiftet, erklärt er mit dem traditionellen Streich, auf Familienfesten Peperoncini in die Süßigkeiten zu stecken, um böse Onkels zu ärgern.
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Im Sizilien des RuhrgebietsEs war die Empfehlung eines meiner Blog-Leser, die mich auf das „Café Bistro Mara“ aufmerksam machte. Also fuhr ich an einem sonnigen Nachmittag nach Hattingen. Ab 17 Uhr gibt es, genauso wie über die Mittagzeit, ein Wochenmenü, bestehend aus je zwei Antipasti, erstem und zweitem Gang sowie Dessert, die man alle einzeln bestellen kann. Den ganzen Tag über gibt es Kleinigkeiten wie Salate, Bruschettona (Landbrot mit Tomaten, Büffelmozzarella und Basilikum), Couscous mit Gemüse, Parmigiana (Aubergine, Tomatensauce, Mozzarella, Parmesan und Basilikum) und häufig auch die frittierten Reisbällchen Arancini. Und natürlich die oben erwähnten Dolci und das Halbgefrorene Granita. Besonders hübsch sind die „Stuzzichini per aperitivo“, kleine Häppchen, die wie Tapas auf einem Tellerchen serviert werden, die z. B. ein Glas Aperol Spritz abdecken.
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Ich bestellte als Antipasti „Moscardini alla Diaviola“. Die Primi Piatti, „Risotto Montanaro“ mit Speck und Pistazien oder schwarze Bandnudeln mit Garnelen, Dorade und Tomaten, übersprang ich. Als Secondo nahm ich „Baccalá alla Messinese“, und zum Dessert gab es ein Cannolo mit Espresso. Als Weinbegleitung empfahl mir Michelangelo einen Diantha Bianco aus Grecanico und Malvasia Bianco vom Weingut Carlo Pellegrini (nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen Mineralwasser), ein fruchtig erfrischender Weißer, der schön mit den süßsauren Aromen der Gerichte harmonierte.
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Nach dem Essen war ich nicht nur gesättigt, sondern hatte auch einiges Neues erfahren. Der Nachmittag hatte schon sonnig begonnen, aber im Laufe des Abends war das Wetter immer schöner geworden. An den Tischen vor dem Haus hatten sich einige Gäste eingefunden, darunter eine temperamentvolle italienische Familie, die sichtlich Spaß hatte. Doch als ich um die Ecke bog, erschrak ich fast. Der Außenbereich des benachbarten westfälischen Schnitzel-Steak-Schweinshaxen-Wirtshauses war dagegen voll besetzt. Das ist ja etwas Wunderbares, aber, liebe Michael-Corleone-Verehrer, Andrea-Camilleri- und Tommasi-di-Lamedusa-Leser sowie sonstige Freunde der italienischen Oper – das muss im „Mara“ genauso werden!
Kleines Sizilianisches Menü
2.6.2022
Moscardini alla Diavola
Baby-Octopus in scharfe Tomatensauce (11 Euro)
Die kleinen Tintenfischchen waren von der Größe her kaum von den Dattel-Tomaten in der Sauce zu unterscheiden. Schön scharf abgeschmeckt, boten sie ein wunderbares Kau- und Geschmackserlebnis nach Meer und Tomaten. Dazu geröstetes Brot mit Petersilien-Pesto.
Baccalà alla Messinese
Frittiertes Kabeljaufilet mit Zwiebeln, Oliven, Weißwein und Minze
(24 Euro)
„Agrodolce“ heißt im Italienischen die süßsaure Zubereitungsart, die hier zum Tragen kam. Das panierte und schön auf den Punkt gegarte Kabeljaufilet war mit karamellisierten roten Tropea-Zwiebeln belegt, deren schwere Süße durch die Minze konterkariert wurde. Als Beilage gab es, neben Kartoffeln, eine Caponata, ein klassisches süßsaures Gemüsegericht aus Auberginen, Tomaten, Zwiebeln, Paprika, Kapern und Oliven. Sehr stimmig.
Cannolo mit Espresso
Der Ricotta der Cannolo-Füllung war aus Schafsmilch hergestellt, sehr sanft und fein.
Mandelgebäck
Das Plätzchen bestand aus gemahlenen Mandeln mit Orange, die Füllung ist eine Maraschinokirsche.
Café Bistro Mara. Sankt-Georg-Straße 13, 45525 Hattingen. Tel. 02324/9213215. Tägl. geöffnet 10-22 Uhr. Küche 2-14:30 Uhr und 17-22 Uhr. cafe-bistro-mara.de